CORONA - Leben zwischen Angst und Chance

Der Corona-Virus SARS-CoV-2 (COVID 19) wurde erstmals im chinesischen Wuhan (Provinz Hubei) von Fledermäusen auf Menschen übertragen. Bei diesem neuen Virus handelt es sich um einen Erreger aus der Familie der Corona-Viren, zu denen z.B. auch das SARS-Virus gehört. Die erste offizielle Meldung über eine gehäufte Anzahl Pneumoniekranker (Lungenentzündung) Personen mit unbekannter Ursache wurde dem WHO-Landesbüro am 31.12.2019 gemeldet. 

Inzwischen hat die globale Ausbreitung die Ausmaße einer Pandemie (Epidemie großen Ausmaßes) erreicht, was z.T. zu gravierenden Maßnahmen geführt hat und deren oberste Eskalationsstufe wohl noch nicht erreicht ist. (Groß-)Veranstaltungen wurden abgesagt und Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen bis auf Weiteres geschlossen. Eventuell steht auch ein kompletter "Shutdown" in Deutschland noch bevor.

 

Dies stellt unsere Gesellschaft vor ganz besondere Herausforderungen...

Viele Menschen geraten in Anbetracht der globalen Ausmaße und der exponentiell steigenden Betroffenenzahlen und der vielen Unsicherheiten von Tag zu Tag mehr in innere Unruhe/Beunruhigung, Angst und manche gar in Panik. Und manche wollen einfach nichts mehr davon hören...

Es wäre ein leichtes, das daraus resultierende Verhalten von sog. "Hamsterkäufen", sozialem Rückzug, akribischem -"Live-Ticker-verfolgen", intensiven Desinfektions- und Hygienemaßnahmen als hysterisch und übertrieben abzuwerten und damit die betroffenen Menschen noch mehr zu verunsichern und vor allem nicht ernst zu nehmen - und leider passiert dies auch immer wieder. Viele dieser betroffenen Menschen wissen, dass ihr Verhalten scheinbar übertrieben und rational nicht wirklich begründbar ist - und doch können sie nicht anders und sorgen für den schlimmsten Notfall vor.

Das fatale daran... nach einiger Zeit - und immer leerer werdenden Läden - werden auch Menschen, die diese massiven Ängste nicht haben, motiviert, doch auch deutlich mehr einzukaufen, um zumindest von den Resten noch etwas abzubekommen und im schlimmsten Fall nicht unversorgt dazustehen. Nicht bei allen diesen Menschen entwickeln sich deswegen Ängste vor dem Corona-Virus, sondern häufig Ärger auf die Coronaängstigen und eine gewisse Unsicherheit, ob die eigene Angstlosigkeit nicht vielleicht doch blauäugig und zu verharmlosend ist. 

Es gibt derzeit jedenfalls kaum noch ein anderes Gesprächsthema, was das Bedürfnis der Menschen nach Austausch und Sicherheit sehr deutlich macht. Egal, aus welcher Perspektive man das Thema betrachtet. Es kommt keiner darum herum, sich eine Meinung dazu zu bilden. Im Idealfall sind wir in der Lage, diese ggf. auch zu revidieren und wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder neu in die eigene Meinung zu integrieren und sich den Bedingungen anzupassen. Und ja, natürlich sollen wir uns informieren. Aus meiner therapeutischen Erfahrung ist es zur Beruhigung am sinnvollsten, sich aus seriösen Quellen, wie z.B. dem Robert-Koch-Institut und höchstens zweimal pro Tag über die aktuelle Lage zu informieren.

 

In vermeintlich sicheren Zeiten betreiben viele Menschen meist keine übertriebene Vorratshaltung, obwohl es vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sehr wohl ganz konkrete Vorgaben/Checklisten (https://www.bbk.bund.de/DE/Ratgeber/VorsorgefuerdenKat-fall/Checkliste/Checkliste.html) gibt, was und wie viel jeder Haushalt an Vorräten für Notfälle haben sollte. Kommt es dann zu absehbaren Krisensituationen, bekommen Menschen Panik, nicht ausreichend vorgesorgt zu haben. Die Familie ist auf sich und das nahe Umfeld "zurückgeworfen" und muss in der Lage sein, das Überleben zu sichern. Deutlich wird das alleine schon über die Weihnachtsfeiertage und zwischen den Jahren... auch hier könnte man - ohne Notsituation - schon denken, manche Menschen müssten, wenn mehrere Tage hintereinander Geschäfte geschlossen sind, verhungern. Es ist eine leichte Version dessen, was wir jetzt erleben und zeigt gleichzeitig die grundsätzliche "Normalität" dieses Verhaltens... Menschen sind Sammler und Jäger und legen für Notzeiten Vorräte an.

Doch nun zu den Ängsten... sind Menschen, die jetzt von Tag zu Tag mehr in Angst und Panik verfallen, die immer häufiger ihre Hände waschen und desinfizieren, die soziale Kontakte immer mehr meiden und sich zurückziehen, ihre Familie abschotten und die in zwanghaftes Hygieneverhalten verfallen und im schlimmsten Fall Horrorszenarios verbreiten, einfach nur überängstlich? Übertreiben sie und wollen Aufmerksamkeit oder geht es darum, anderen Angst zu machen oder Verschwörungstheorien zu verbreiten? 

Aus meiner Sicht betrifft das die meisten Menschen nicht! Wir alle wissen nicht, was weiter passieren wird und welche Maßnahmen in Zukunft noch nötig sein werden. Wir können uns lediglich nach bestem Wissen und Gewissen anhand der Empfehlung von Medizinern und Wissenschaftlern orientieren und uns entsprechend verhalten. 

 

Deshalb sollten wir gerade Menschen, die massive Ängste und Panik entwickeln, jetzt nicht abwerten, beschimpfen oder ausgrenzen, sondern ihnen mit Mitgefühl und Zuversicht begegnen. Jede Angst - und für manche Menschen wird sie leider tatsächlich sehr real und vor allem existenziell werden - hat gute Gründe. Betroffene, die aus verschiedenen Gründen bereits vorher an Depressionen, Ängsten und Zwängen gelitten haben, werden es jetzt noch schwerer haben, damit umzugehen. Und häufig ist es die eigene Angst vor der Unberechenbarkeit von Krankheit, Tod und Verlust, die zu impulshaften Handlungen führen kann. Für mich ist es völlig nachvollziehbar, dass Menschen, die bereits tiefgreifende Erfahrungen mit diesen Themen machen mussten, jetzt besonders viel Schutz und Begleitung benötigen, um aus dieser Krise möglichst gestärkt hervorgehen zu können. Gleichzeitig wird es in der Tat Menschen geben, die ihre Angehörigen durch den Corona-Virus verlieren werden, weil vermutlich aufgrund von Vorerkrankungen oder altersbedingt, das Immunsystem geschwächt ist.

 

Es wird außerdem Menschen geben, die in existenzielle Schwierigkeiten kommen werden. Zuerst werden hiervon Selbstständige, Freiberufler und Künstler betroffen sein, denen bereits jetzt fast alle Aufträge der kommenden Wochen und Monate abgesagt wurden. Aber auch kleine und mittelständische Unternehmer werden sehr zu kämpfen haben und viel Unterstützung benötigen. Hier geht es um ganz reale, greifbare Ängste. Ängste, die wir ebenfalls ernst nehmen müssen. Auch das Thema "Depression" wird viele Menschen in Zukunft wohl leider noch intensiver beschäftigen als bisher. Rückzug und soziale Isolation fördern und bestärken bei vorbelasteten Menschen depressive Phasen. Sollten Sie hiervon betroffen sein, holen Sie sich bitte aktiv Hilfe und Unterstützung!

 

Es braucht in nächster Zeit viel Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung einer ganzen Gesellschaft, aller Menschen, um Menschen in Angst und Not auf verschiedenste Weise beizustehen und sie in ihrer Situation ernst zu nehmen und ihnen Mut und Hoffnung zu geben, dass wir alle das bestmögliche tun werden, um ein schnelles Ausbreiten und damit die Überlastung der Intensivstationen zu verlangsamen und eine gute Versorgung Betroffener möglichst zu gewährleisten. 

 

"Ein Freund ist ein Mensch, der die Melodie deines Herzens kennt. Und sie dir vorsingt, wenn du sie vergessen hast" (Albert Einstein)

 

Doch, umso mehr wir unsere Ängste, direkt nachvollziehbare (wie Existenzangst) oder auf den ersten Blick vermeintlich irrationale Ängste um das eigene Leben oder das Leben der Liebsten, fokussieren, umso mehr füttern wir diese und lassen sie weiter wachsen. Das Gleiche passiert, wenn wir sie unterdrücken und nicht wahrhaben wollen und die Ängste Anderer kleinreden oder als übertrieben darstellen. Angst, die unterdrückt werden soll, wird in der Regel nur umso lauter werden. Was wir brauchen, sind zuverlässige Informationen und Deeskalation statt Verschwörungstheorien und Panikmacherei. Viele Menschen haben Angst, durch das Corona-Virus zu sterben. Viel gefährlicher für den Einzelnen ist allerdings eher die "normale" Grippe, Auto-/Motorradfahren oder das Rauchen von Zigaretten, wie auch Professor Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding Zentrums für Risikokompetenz deutlich macht.

 

Die Kunst besteht jetzt darin, ein Mittelmaß zu finden!

 

Eine Ausgewogenheit in Einerseits der Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung der Notwendigkeit von Ängsten und Panik bei manchen Menschen sowie Andererseits dem Beistehen, Begleiten und Vermitteln von Hoffnung und Zuversicht, dass wir als Gesellschaft diese Pandemie überstehen und im besten Fall daraus etwas Positives lernen können. Denn weder Panikmacherei noch übermäßige Beschwichtigung und Schönreden werden hilfreich sein. 

Ich selbst kann als Freiberuflerin insbesondere die Existenzängste auch persönlich nachvollziehen und muss selbst auch in den kommenden Monaten mit deutlich reduzierten bis im schlimmsten Fall ohne Einkünfte dennoch meine regelmäßig fälligen Kosten tragen können. Und auch die vermeintlich irrationalen Ängste kenne ich aus meiner täglichen Arbeit mit meinen Klienten/innen und weiß um deren oft sehr tiefgehende Hintergründe.

 

Ich bin jedoch der Überzeugung, dass alles Schlechte auch seine guten Seiten haben wird. 

Mich erinnert die Situation, wie sie sich weltweit gerade darstellt, an einen klassischen Burnout-Prozess, an dessen Ende der völlige Zusammenbruch, der Kollaps steht. Der Energiespeicher wird immer leerer... rauscht irgendwann komplett in den Keller.

Erst wenn der Betroffene WIRKLICH die Reißleine zieht und sein Leben gravierend entschleunigt und im Anschluss Strukturen, Abläufe und Denkweisen erkennt und verändert und sich die dafür notwendige Begleitung und Hilfe holt, kann häufig in ein glücklicheres und zufriedeneres Leben mit mehr Dankbarkeit und Wertschätzung starten. Der Gewinn besteht häufig in einem gesteigerten Selbstwertgefühl, mehr Selbstwirksamkeit und größerer Resilienz (Widerstandsfähigkeit).

Genau das braucht unsere Gesellschaft seit langem. Corona ist für mich wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der bei Höchstgeschwindigkeit eine Notbremsung einleiten  musste. Noch befinden wir uns auf dem Bremsweg. Wir stehen noch nicht still. Kommen noch nicht zur Ruhe. 

Jede Krise ist auch eine Chance... jede Münze hat zwei Seiten... und wenn eine Tür sich schließt, gehen neue Türen auf... - diese und andere Sätze, die wir oftmals im Alltag verwenden, zeigen bereits, wie es auch diesmal sein kann. 

Bereits jetzt zeigen sich deutliche positive Auswirkungen für unsere Umwelt. Die CO-2-Belastung hat sich drastisch reduziert. Plötzlich sind wir in der Lage, unsere Reisetätigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Insbesondere im Flug-/Schiff-/Bahn und auch PKW-Verkehr. 

Wir werden dazu angehalten, öffentliche Veranstaltungen zu meiden, bzw. wurden diese ab einer gewissen Teilnehmerzahl sowieso komplett abgesagt. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir jetzt mehr Zeit mit unserer Familie verbringen können, sollen und werden (insofern es sich nicht um gefährdete Personen handelt). Wir können die Chance nutzen, mit unseren Kindern oder auch Eltern zu reden, Spieleabende einzuführen oder gemeinsam Filme zu gucken, gemeinsam zu lachen oder auf andere Weisen miteinander Zeit zu verbringen. Eltern in Home-Office können mit ihren Kindern in Home-Schooling gemeinsam arbeiten und lernen. 

 

Aber auch ohne Kinder werden wir jetzt vermutlich bald viel Zeit haben, Dinge zu tun, die wir immer tun wollten, aber zu wenig Zeit dafür haben... beispielsweise ein schönes Buch lesen, sich in die Badewanne legen, ausgedehnte Spaziergänge in den Wald, die Natur genießen, joggen gehen, meditieren oder beten. 

Egal, wo unsere individuellen Kraftquellen liegen. Jetzt haben wir die Chance, diesen etwas mehr Raum und Qualität in unserem Leben einzuräumen und auch unserer Gesundheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es vielleicht bisher der Fall war. Hierzu gehört ein stärkeres Bewusstsein für vitaminreiche, gesunde Ernährung, die das Immunsystem stärken kann sowie ausreichend Bewegung und Sport.

 

Und klar... nicht jede/r wird diese Vorteile in gleichem Maß zu spüren bekommen (können)!

Aber alle, die diese Gelegenheit haben werden, sollten sie für sich nutzen. Um aufzutanken, Kraft zu sammeln, sich zu reflektieren und auch nachhaltig im Leben etwas zu verändern. 

Gleichzeitig wird es vielen möglich sein, ihre eigenen Ressourcen und die Kraft zu teilen, mit Menschen, die jetzt unsere Hilfe dringend benötigen. Diese Solidarität, Wertschätzung und Empathie ist bereits jetzt deutlich zu erkennen. Viele Menschen bleiben ruhig und gelassen und nehmen dennoch die Situation ernst, obwohl derzeit die Konsequenzen noch nicht absehbar sind.

Wir können für alte, kranke, geschwächte oder gefährdete Personen einkaufen oder sie anderweitig unterstützen. Wir können Menschen, die selbst betroffen sind, gefährdet oder einen lieben Menschen verloren haben, beistehen und sie durch die schwere Zeit begleiten. Und wir können den Menschen, die in helfenden Berufen arbeiten und für die Aufrechterhaltung unseres Gesundheitssystems kämpfen, beistehen, indem wir sie in der Kinderbetreuung unterstützen und ihnen mit viel Wertschätzung und Respekt begegnen. 

Das alles - und noch viel mehr können wir alle zusammen beitragen, um gestärkt aus dieser Krise hervor zu gehen und mehr Bewusstsein für das Wesentliche im Leben zu schaffen.

 

Um abschließend ein bisschen Hoffnung und Mut zum Umgang mit der Angst zu machen, möchte ich Sie einladen, noch die Geschichte vom "Angstmonster Kakasi" zu lesen, die ich häufig in der Therapie einsetze...

 

Die Geschichte vom Monster Kakasi

 

Es gab einmal das Monster Kakasi. Es war ein schreckliches Monster, denn es war ein Angstmonster. Riesengroß und schwarz. Eigentlich wusste kaum jemand, wie es genau aussah, denn jeder sah es ein bisschen anders, jedem erschien es in einer etwas anderen Form. Aber alle fürchteten sich vor diesem dunklen, schwarzen Monster. Sie hatten Angst, dass das Angstmonster kommen würde. Sie zitterten schon bei dem Gedanken an das Monster. Kakasi war einer der Namen des Angstmonsters, es hatte verschiedene Namen, unterschiedliche Menschen gaben ihm unterschiedliche Namen.

Wenn Kakasi jemanden sah, dem es Angst machen konnte, blähte es sich ganz groß auf, manchmal schien es geradezu aufzuschreien, oder es erschreckte auf andere Art und Weise – bis, ja, bis eines Tages ein kleiner Zwergenjunge auftauchte. Kakasi blähte sich wieder gewaltig auf, doch noch nicht zu seiner ganzen Größe. Zuerst einmal. Denn es war ja auch nur ein kleiner Junge, mit dem er es da zu tun hatte, dachte er.

„Hallo“, sagte der kleine Zwergenjunge. „Ich bin Quadri, weil ich der vierte Bub meiner Familie bin, und das >i< am Ende meines Namens bedeutet, dass ich der Kleinste bin. Wie heißt du?“ 

„Was?“, sagte Kakasi verdutzt, der noch nie erlebt hatte, dass jemand mit ihm redete, statt wegzulaufen.

„Ich bin Quadri, weil ich als vierter Bub in meiner Familie geboren bin, und mit >i<, weil ich der Kleinste bin“, wieder holte Quadri. „Und du?“ 

„Kakasi“, sagte das Monster laut. „Kakasi, der Schreckliche.“

„Und warum das >i<?“, fragte Quadri neugierig und ohne Scheu. „Das >i<“, brüllte Kakasi äußerst verärgert, weil Quadri so wenig Respekt vor ihm zeigte, „geht dich gar nichts an. Ich bin der Schreckliche“. „Warum“, fragte Quadri witer, „wirst du der Schreckliche genannt?“ Das verärgerte Kakasi noch mehr. „Weil ich eben schrecklich bin!“, brüllte das Monster. „Ich bin das Angstmonster, siehst du das denn nicht? Viele Menschen kennen mich, für jeden habe ich eine andere Gestalt, aber sie wissen alle, was Angst ist. Und für manche bin ich besonders groß.“ Und mit diesen Worten blähte sich das Monster weiter auf.

„Ach so“, sagte Quadri.

„Was heißt da, ‚Ach so‘?!“, brüllte Kakasi nun richtig wütend und schon nahe am Platzen.

„Ach so“, sagte Quadri, „heißt, dass ich verstehe, dass du ein Angstmonster bist. Wie alt bist du denn?“, fragte Quadri weiter.

„Wie alt?“, antwortete Kakasi verdutzt, dem noch nie, seit er sich erinnern konnte, solche Fragen gestellt worden waren. „Das weiß ich nicht genau“, musste er dann zugeben.

„Seit wann gibt es dich denn?“, probierte Quadri es andersherum. Darauf wusste Kakasi eine Antwort. „Oh“, sagte er voller Stolz, „mich gibt es schon immer, seit es Menschen gibt.“

„Warum?“, fragte Quadri.

„Ja“, sagte Kakasi stolz, „weil die Menschen Angst brauchen. Sie brauchen sie, um eine Gefahr zu erkennen, um vor ihr weglaufen zu können oder sich zu verstecken oder sich zu wehren. Stell dir vor, da kommt so ein Säbelzahntiger auf einen Menschen zu, und der Mensch läuft nicht weg, weil er vergessen hat, Angst zu haben. Das wäre doch eine feine Sache für den Säbelzahntiger, aber nicht für den Menschen.“

„Kann man denn dich, die Angst bei Gefahr, vergessen?“, staunte Quadri.

„Nein, natürlich nicht“, antwortet Kakasi voller Stolz. „Ich komme ganz von selbst, blitzschnell geht das, das ist ja ganz wichtig. Wenn sie lange nachdenken müssten, wären die Menschen viel zu langsam, da wäre der Säbelzahntiger viel schneller.“

„Verstehe“, meinte Quadri. „Dann bist du doch eigentlich sehr wichtig.“ Und nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: „Und heute, wo es doch keine Säbelzahntiger mehr gibt, wozu bist du heute noch wichtig?“

„Ach ja“, und das war das erste Mal, dass Kakasi etwas traurig klang, „heute ist das viel komplizierter. Die Gefahren, vor denen ich schützen sollte, gibt es nur mehr selten. Dafür gibt es aber ganz andere Gefahren! Zum Beispiel wenn man über eine Straße geht und Autos kommen angeschossen, da sollte man schon vorsichtig sein, aber ein Angstmonster ist da auch überflüssig, denn die Menschen haben Verkehrsampeln und Schutzwege erfunden. Zum Glück für die Menschen gibt es heute sehr wenige wirklich gefährliche Situationen.“

Kakasi, das Monster, das glücklich war, dass endlich jemand seine Bedeutung und seinen Sinn erkannt hatte, schrumpfte etwas, weil das ja nicht mehr notwendig war, dass es sich so schrecklich aufblähte.

„Aber“, sagte Kakasi nun, weil er ein bisschen Vertrauen in Quadri bekommen hatte, „es ist so anstrengend!“

„Was ist anstrengend?“, fragte nun Quadri, neugierig geworden.

„Angst zu machen, das ist sehr anstrengend“, seufzte Kakasi. Es war wirklich froh, endlich jemanden zum Reden getroffen zu haben. Es hatte sehr selten Gelegenheit, mit jemandem zu reden. „Es ist so anstrengend, immer Angst zu machen, sich so groß aufzublähen, wo doch manchmal nur ein klein bisschen von mir schon völlig ausreicht. Immer muss ich der Schreckluche sein, und niemand weiß, wie ermüdend und anstrengend das auf Dauer ist. Ich möchte mich so gerne einmal ausruhen!“ seufzte das Angstmonster und schien auf einmal ziemlich klein. „ Und niemand mag mich für das, was ich tue, alle wollen mich los sein“, und es schien fast, als würde das Angstmonster zu weinen beginnen. „Dabei“, schniefte es, „war ich ja wirklich einmal richtig wichtig und hatte einen Sinn, aber das weiß ja niemand mehr!“ Jetzt war es mit der Beherrschung des Angstmonsters, das jetzt gar nicht mehr wie ein Angstmonster aussah, fast vorbei. „Ach so“, sagte Quadri wieder und ging auf das Angstmonster, das keines mehr war, zu, um es zu trösten.

„Weißt du“, flüsterte Kakasi nun ganz leise, „das >i< im Namen, das habe ich, weil ich doch eigentlich nur so ein kleines Monster bin, das groß erscheinen möchte, und deshalb muss ich mich manchmal so aufblähen, damit ich wenigstens ein bisschen gruselig bin. Aber das ist so anstrengend!“ Und nun heulte Kakasi wirklich los, und die Tränen flossen nur so aus seinen Augen, und irgendwie veränderten sich dabei seine ganze Gestalt, sein Aussehen und auch seine Farbe, und es wurde sogar etwas bunt.

Quadri streichelte Kakasi, und Kakasi begann, zuerst leise und schließlich lauter zufrieden zu grunzen.

„Weißt Du, was?“, meinte Quadri, „wir werden für dich etwas Neues finden, sodass du nur dann auftauchst, wenn es wirklich notwendig ist, und du so klein bleiben kannst, wie es für dich sinnvoll ist. Jetzt aber werde ich für dich aufpassen … dass alles in Ordnung bleibt, und du kannst dich inzwischen ausruhen.“

„Meinst du das wirklich?“, fragte Kakasi. „Das würdest du wirklich für mich tun?“

„Natürlich, klar, wir sind ja Freunde“, meinte Quadri, „das nächste Mal machen wir es umgekehrt, wir helfen von nun an einander, denn wir sind ja Freunde.“

„Wunderbar“, sagte Kakasi nun schon ziemlich leise, „und danke“, und schlief mit einem langen und tiefen Seufzer ein. Noch im Schlaf sah man die eine oder andere Träne über sein Gesicht laufen, bis es mit einem kleinen Lächeln sanft und ruhig atmend schlief.

 

Charlotte Wirl – Therapeutische Geschichten und Metaphern / Es war einmal… Über das Erfinden von Märchen und (therapeutischen) Geschichten.

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